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Das erste Mal dort

Meine erste Gedenkstättenfahrt in die Mahn- und Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau


Bauchschmerzen. Beklemmung. Überforderung. Diese 3 Worte spiegeln meine erste direkte Konfrontation mit dem Thema „Auschwitz“ perfekt wider. Ich habe mir Sorgen gemacht, war aufgeregt, hatte Angst, richtige Panik … Trotzdem hat es sich gelohnt. Wenn du wissen möchtest, warum solltest du bis zum Ende lesen.

Bauchschmerzen

In den Wochen und vor allem Tagen vor der Fahrt hatte ich immer Bauchschmerzen, wenn ich an das Bevorstehende dachte.

Ohne groß drüber nachzudenken, habe ich mich damals angemeldet, um an der Studienfahrt teilzunehmen. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich mich kaum mehr an die gesamte Prozedur erinnern kann. Nach der Verkündung des Angebots redete ich meiner Erinnerung nach weder mit meinen Eltern, Lehrern oder Mitschülern. Ich füllte die Anmeldung aus und gab sie ab. Auf einem Vorbereitungstreffen wurden uns dann alle wichtigen Formalitäten mitgeteilt und wir bekamen die Aufgabe, uns vor der Fahrt selbstständig über das Thema zu informiere, was ich vorbildlich tat. Ich las mir mehrere Artikel im Internet durch, schaute einen Film, konsumierte ein Buch, weinte und meinte dann, ich sei genug vorbereitet. Auch hier gab es kein Gespräch mit niemandem über das Erfahrene. Neu war das Thema nicht für mich, die Tiefe des Ausschnitts, den ich betrachtete, jedoch schon.

Wir fuhren nachts los, um morgens anzukommen. Und hier begannen die Bauchschmerzen so richtig. Ich konnte nicht sitzen, ohne dass ich das Gefühl hatte, meine Rippen würden alle meine Organe aufspießen. Immer wieder überflutete mich Panik, die ich halb erfolgreich versuchte, weg zu atmen. Auch darüber sprach ich mit niemandem.

Während der Busfahrt versuchte ich zu schlafen. Da das nicht funktionierte und lesen mich nervös machte, probierte ich Musik zu hören, um mich etwas zu entspannen. Auch dies blieb erfolglos. 

Die Busfahrt zog sich ins Unendliche und ich bereute, mitgefahren zu sein. Ich wollte nach Hause. In mein Bett, um endlich angenehm schlafen zu können. Ich saß mit circa 40 Menschen in einem Bus und fühlte mich alleine. Wir machten regelmäßig Pause, doch diese brachten keine Auszeit von meinen unangenehmen Gefühlen.

Nach ca. 9 Stunden Fahrt kamen wir endlich an.

Beklemmung

machte sich breit, sobald ich aus dem Bus stieg und mir bewusst machte, dass wir nun angekommen waren. Beklemmung sollte mich von diesem Augenblick bis zum Ende der Fahrt verfolgen.

Nach dem Ankommen bezogen wir erst mal unsere Zimmer und hatten ein wenig freie Zeit, die durch die furchtbare Hinreise mehr als nötig war. Der weitere Ablauf der Fahrt ist leider nur noch verschwommen in meiner Erinnerung zu finden. Jedoch kommt es auch nicht auf die genaue Reihenfolge an, sondern auf die einzelnen Programmpunkte.

Das Stammlager

Auf der Fahrt zum ehemaligen Stammlager erreichte meine Beklemmung ihren Höhepunkt. Es fühlte sich falsch an, das  vor über 75 Jahren errichtete Konzentrationslagers mit einer lärmenden Schulklasse zu besichtigen, als ob es eine touristische Sehenswürdigkeit wäre.

Wir mussten lange warten, bevor wir unsere Tickets und einen Tourguide bekamen. So nah vor dem Ort des Grauens zu stehen war noch beklemmender. Meine Gedanken kreisten, doch fanden sie keinen sinnvollen Ansatzpunkt. Ich entdeckte, dass einer unserer Begleiter grüne Hummel-Socken trug. Ich schaute lächelnd auf meine blauen Spiegelei-Socken und fand für einen Moment eine angenehme Ablenkung.

Die Aufmachung der Ausstellungen, die bedrückende Atmosphäre und der fähige Tourguide sorgten dafür, dass das Bild einer „touristischen Sehenswürdigkeit“ schnell aus meinem Kopf verschwand.

Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem ich dort zum ersten Mal weinte. Ich habe vor, während und nach der Fahrt sehr viel geweint. Das erste Mal wurde von einem Foto ausgelöst. Darauf waren Frauen zu sehen, die sich umgeben von Bäumen entkleiden. Die Vorbereitung für den Weg in die Gaskammer. Es ist eines der wenigen Fotos aus dem Lager. Für mich ist es ein Symbol der Fabrikhaftigkeit. Die Frauen mussten sich im Wald ausziehen, weil alle Auskleideräume noch belegt waren. Wenn man sich überlegt, dass die theoretische Kapazität dieser Räume über 8.000 Menschen beträgt und man sich bewusst wird, dass das Erreichen dieser Kapazität bedeutet, dass vor der Entstehung dieses Fotos über 8.000 Menschen vergast, also ermordet worden sind und man sich 8000 Menschen versucht vorzustellen, dann haut einen das ordentlich um.

Überwältigende Beklemmung machte sich breit, als wir vor der Todeswand ankamen. Wem es eben schon schwergefallen ist, sich 8000 Menschen vorzustellen, der kann es jetzt noch mal mit 20.000 Menschen probieren. So viele wurden genau an der Stelle erschossen, an der ich mit meiner Schulklasse stand. Unvorstellbar. An dieser Stelle streikten das erste Mal meine Füße. Ich wollte nicht mehr weiterlaufen. Ich zwang mich. Mir war es wichtig, alles zu hören, was unser Guide uns erzählte. Ich wollte nichts verpassen und so begann ich widerwillig, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Wand hinter mir zu lassen.

Als Nächstes geht es in eine Ausstellung, die unbeschreiblich gut gelungen ist. Sie beginnt mit einer Videoinstallation, die mit Musik unterlegt ist. Hier überwältigt es mich komplett. Über die Wände verteilt sieht man vor dem Krieg entstandene Privataufnahmen von jüdischen Familien, Vereinen, Schulklassen und vieles mehr. Man sieht kleine Kinder singen, Schlittschuh laufen, Geburtstagskerzen ausblasen. Es werden Hochzeitsfotos gezeigt, fröhliche Gruppen tanzen auf einem Marktplatz oder speisen zusammen. Hier erhalten die Zahlen ein Gesicht, werden individualisiert. Keiner kann sich wirklich 8.000, 20.000 oder 6.000.000 Menschen vorstellen, aber wenn man dem Angesicht eines Menschen gegenübersteht und weiß, was er in den kommenden Jahren durchstehen werden muss, da wird einem ganz anders zumute. Ich beginne, mich schuldig zu fühlen. „Es tut mir so leid“, denke ich und meine es auch so.

Mit der Ausstellung endet unsere Führung. Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick schlurfe ich Richtung Ausgang. Mein Kopf ist voll. Ich bin sprachlos. Mir graut es vor den nächsten Tagen.

Auschwitz-Birkenau 

Zurecht, denn am nächsten Tag ging es nach Birkenau. Der Anblick verlieh der Geschichte eine neue Dimension. Das weitläufige Gebiet vermittelte dem Betrachter nur einen Hauch von seiner ursprünglichen Grausamkeit, der jedoch ausreichte, um ihn erschaudern zu lassen. 

In mich gekehrt verfolgte ich unsere Führung, versuchte mich aufs Zuhören zu konzentrieren. Ich nahm die Wörter auf, ohne genau zu wissen, was sie wirklich bedeuten. Um wirklich die Bedeutung dieses Ortes zu verstehen, reicht es nicht aus, sich das Ganze einmal anzuschauen und einer Führung zuzuhören.

Unser Guide versuchte, uns durch seine Erzählungen ein Bild von der früheren Abscheulichkeit zu zeichnen. Mir fiel es schwer, mir all das vorzustellen. Wenn ich meinen Blick schweifen ließ, sah ich Bäume, Wiesen und Wege bewandert von Besuchern. Ich sah auch die Holzbaracken, die Ruinen und die Schienen. Jedoch sah ich kein Konzentrationslager.

Neben den Besuchen direkt in der Gedenkstätte verbrachten wir unsere Zeit mit Workshops und Gesprächsrunden, machten Stadtführungen und schauten uns eine Synagoge an.

 

Schindlers Liste

Wir schauten uns auch „Schindlers Liste“ an. Den Film hatten wir schon einmal in der Schule gesehen, doch ich hatte das Gefühl, den Film erst dann richtig zu sehen. Ich stellte immer wieder fest, dass es einen großen Unterschied gibt und dass man nur weil man etwas liest, hört oder sieht, es noch nicht versteht oder weiß, was es bedeutet.

Während des gesamten Films liefen mir Tränen über die Wangen. Von den gezeigten Gräueltaten wurde mir schlecht. Ich wollte am liebsten wegschauen, den Film anhalten, meine Augen bedecken. Ich zwang mich bis zum Ende weiterzuschauen, ohne wegzuschauen. Danach war ich völlig aufgelöst, so schlecht ging es mir noch nie. Die Tränen liefen mir pausenlos das Gesicht entlang. Ich konnte nicht aufhören mit weinen. Ich blieb wie angewurzelt sitzen und wollte mich nicht bewegen.

In mir begann sich alles zu verkrampfen. Ich fing langsam an zu realisieren, dass das alles wirklich passiert ist. Die ganze Fahrt über hoffte ich, dass irgendjemand sagt: „Nein, nein, das ist alles nicht echt“. Dass das nicht passieren wird, war mir voll und ganz bewusst, doch bereit für diese Realisation war ich nicht. Die Geschichte, welche nicht nur eine Geschichte ist, fegt mich mit geballter Wucht um, mein Inneres wehrte sich dagegen. Hoffnungslos.

Ich war müde und ausgelaugt, unsere Tage waren mit Programm bis oben hin vollgestopft und ich selbst mit Informationen. Wenn meine Augen nicht gerade mit Tränen gefüllt waren, dann fielen sie vor Müdigkeit zu. Das taten sie leider auch während des Zeitzeugengesprächs, welches ausgerechnet an das Ende der Fahrt gelegt wurde. Ich wollte mich wirklich auf die Ausführungen der Zeitzeugin konzentrieren, doch dass sie auf eine Übersetzerin angewiesen ist, erschwert das Zuhören noch zusätzlich. Ihre Geschichte ist außergewöhnlich und bewegend. Sie erzählte, dass ihre Eltern sich für sie geopfert haben, unglaublich. Mir tut leid, dass das überhaupt nötig war.

Überforderung

Wann genau sich zu der Beklemmung noch Überforderung gesellte, weiß ich nicht mehr. Ich kann jedoch sagen, dass das keine schöne Kombination ist. Überfordert war ich vor allem mit meinen Gefühlen. Ich weinte teilweise pausenlos und auch in Situationen, wo es nicht passte: beim Essen oder während den Busfahrten zu unseren Programmpunkten. Es war schwierig für mich, mit irgendjemandem aus meiner Reisegruppe über die Thematik oder meine Gefühlslage zu sprechen, deshalb sagte ich gar nichts. Selbst gegenüber meinen Freunden schaffte ich es nicht, mich zu öffnen.

Weinend, überfordert und stumm … Ein echter Trauerkloß war ich. Aus meinem Laufen wurde irgendwann nur noch ein Schleppen. Ich schleppte mich durch den Tag und sehnte mich nach der

Rückreise

Die Rückreise zog sich wie die Hinfahrt und ich hatte Angst vorm Ankommen, immer wieder rollte mir eine Träne über die Wange. Ich versuchte mich abzulenken, es klappte nicht. Ich wollte gerne mit jemandem reden, doch wusste nicht, mit wem. Ich dachte, dass es im Bus keinen gab und dass auch zu Hause keiner auf mich wartete. Meine Gedanken waren düster. Das gefiel mir nicht, aber ich wusste auch nicht, wie ich es ändern konnte. Ich war überfordert.

In mir hatte sich einiges angestaut. Ich merkte es in mir kochen und brodeln. Ich spürte in mir eine große Energie, ich wollte irgendetwas tun. Circa fünf Tage hatte ich zugehört, zugeschaut, gelernt und versucht zu verstehen. „Nun bin ich dran“, dachte ich, „nun, ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ich davon auch etwas in meinen Alltag mitnehme“.

Die Ankunft erwies sich so nüchtern wie erwartet. Zu Hause hatte ich immer noch keinen, mit dem ich reden konnte. Ich wusste nicht, wem ich mich anvertrauen konnte. Gerade weil das Thema so schwierig war, stieß ich oft auf Unbeholfenheit und wenig Bereitschaft, länger darüber zu reden. Im Unterricht wurde es auch nicht aufgegriffen und wir machten mit anderen Dingen weiter.

Warum hat sich die Fahrt trotzdem gelohnt?

Die Fahrt hat sich gelohnt, weil ich erst dort die Ausmaße und die Bedeutung des ehemaligen Konzentrationslagers begriffen habe. Durch das abwechslungsreiche Programm bekam ich einen umfassenden Einblick. Die Fahrt bot genügend Zeit, um Themen auch mit großer Tiefe zu betrachten und sie mal wirklich auszudiskutieren. Ich habe in der Woche viel gelernt. Diese Art zu lernen ist nachhaltig, so weiß ich heute noch fast alles von den damals vermittelten Inhalten. 

Auch wenn für mich die Konfrontation emotional überfordernd verlaufen ist, war das für die anderen nicht der Fall. Das Thema beschäftigte sie weniger, ließ sie schneller wieder los. Sie hatten nicht so damit zu kämpfen wie ich. Damit möchte ich sagen, dass solche Fahrten die Jugendlichen in der Mehrzahl nicht so stark überfordern und emotional überlasten, wie es bei mir der Fall war. Und obwohl ich mich während der Zeit schlecht gefühlt habe, blicke ich nun gerne zurück.

Die Fahrt stellt für mich ein großes Sprungbrett dar. Sie hat mich maßgeblich in meiner Entwicklung beeinflusst und inspiriert, selbst aktiv zu werden. Alles, was ich heute bin und erreicht habe, findet seinen Ursprung in dieser Fahrt. Wenn du erfahren möchtest, wovon ich genau spreche, solltest du nun HIER weiterlesen …

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