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Geschichtsunterricht

Nach meiner Gedenkstättenfahrt ging es mir sehr schlecht und ich hatte das Bedürfnis, das Gesehene aufzuarbeiten, doch in der Schule passierte erst mal so gut wie gar nichts. Wir arbeiten alle in unseren Gruppen an unseren Projekten, die wir zu der Fahrt erstellen mussten, tauschten uns aber nicht qualitativ über das Erlebte aus. In den meisten Geschichtskursen wurde die Fahrt und teilweise sogar das Thema Konzentrationslager komplett ausgespart oder drumherum getänzelt. So sollte die Nachbereitung einer Gedenkstättenfahrt nicht laufen. 

Ich war damals ordentlich frustriert darüber, dass meine Geschichtslehrerin kein Wort über all das verlor. Besonders störte mich daran, dass 80 % meines Geschichtskurses im Dunkeln gelassen wurden und nichts über das Thema erfuhren, da sie nicht mitgefahren waren. Aus anderen Klassen wusste ich, dass die Auswertung ähnlich ernüchternd lief. Voller Wut im Bauch ging ich damals zu unserer Geschichtskoordinatorin und sprach das Problem an. Mir wurde versichert, dass meine Kritik anonym weitergegeben und im Fachbereich diskutiert werden würde. 

In der nächsten Geschichtsstunde trug meine Beschwerde dann Früchte: Meine Sitzplatznachbarin durfte die Fahrt in ganzen 5 Sätzen zusammenfassen. Wer hofft, dass darauf noch eine pädagogisch gehaltvolle Auseinandersetzung mit dem Thema folgt, den muss ich leider enttäuschen. Das war es. Mehr kam nicht. Stattdessen ging meine Geschichtslehrerin dazu über, uns weiter mit historischen Quellen, Zahlen und Fakten vollzustopfen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Ich hatte ständig das Gefühl, dass wir durch alle Themen nur durchrennen (was auch dem strengen Lehrplan geschuldet war) und man nie Zeit hatte, sich bewusst darüber zu werden, was das alles eigentlich bedeutet und wie es für einen Menschen war, in dieser Zeit zu leben. 

Ich erinnere mich noch ganz genau an die Geschichtsstunde, in der mir alles zu viel wurde:

Alle Themen, die meine Geschichtslehrerin im Komplex “Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus” für wichtig hielt, waren bearbeitet und sie kündigte an, dass wir nun unseren Blick weiten und die Geschehnisse in einen globalen Kontext setzen werden. Wir schauten uns also an, was während des Zweiten Weltkrieges noch alles auf der Welt passierte und wie sich die deutschen Truppen auf der Landkarte ausbreiteten. 

Was thematisch nach einer ganz guten Idee klingt, wurde methodisch furchtbar umgesetzt. Und damit meine ich nicht, dass es langweilig oder einfältig war. Nicht falsch verstehen: Medial hatte meine Geschichtslehrerin einiges zu bieten: Videos, Dokumentationen, Filme, Bilder, Quellen, Texte, Präsentationen, Karikaturen, nenn es, sie hatte es. Aber genau hier liegt das Problem: Es war zu viel. Viel zu viel, weil die Thematik an sich schon zu viel ist, um sie in 90 Minuten zu pressen. 

Erst in dieser Geschichtsstunde begriff ich richtig, wie groß der Einfluss der Nazis war und wie schnell sie sich ausbreiteten und wo sie überall Gebiete besetzt hatten und Menschen deportierten und/oder ermordeten. Zusätzlich rückten noch andere Brennpunkte und Krisenherde in den Blick: Vor allem der japanisch/amerikanische Konflikt sowie die Rolle Italiens und anderer Aggressoren. In dieser Stunde verstand ich erst so richtig, was die Bezeichnung Weltkrieg bedeutete.

Jedoch war es einfach zu viel für einen Unterrichtsblock, denn man muss bedenken, dass ich nicht nur mit zuhören, verstehen und verarbeiten beschäftigt war, sondern alles auch noch in meinen Hefter pinseln musste. Schon nach den ersten 30 Minuten schwirrte mir der Kopf. Nach 60 hatte ich starke Kopfschmerzen und nach 75 verließ ich weinend das Klassenzimmer. 

Ich kam mir total naiv, dumm und töricht vor, weil ich von alledem nichts wusste. Schluchzend lief ich durch mein Schulhaus und wusste nicht, wohin, also wählte ich das naheliegendste: Die Treppe vorm Lehrerzimmer. In Wahrheit wollte ich diese heruntergehen, schaffte es aber geradeso auf die erste Stufe, bevor ich mich setzen musste. Ein Lehrer, der ein paar Sekunden später die Treppe rauf kam, mich erst mal verwirrt anschaute und vorsichtig ansprach, brachte mich schließlich ins Sekretariat. 

Das Sekretariat war in dieser Situation genau der richtige Ort, weil dort nicht nur einer 100er Packung Taschentücher, sondern auch eine Frau auf mich wartete, die es sich NIE nehmen ließ, für eine emotionale Schülerin wie mich da zu sein. Egal worum es ging, sie hatte immer ein offenes Ohr und einen guten Rat und am wichtigsten: ein Taschentuch. Egal ob Überforderung im Geschichtsunterricht, Probleme mit der Familie oder vergeigte Abiturprüfung. 

Ganz im Gegensatz zu meiner Geschichtslehrerin, die entweder tatsächlich nicht mitbekommen hat, dass ich zu weinen anfing (was fast unmöglich erscheint, da ich in der ersten Reihe direkt vor ihrer Nase saß und mitten im Unterricht gegangen bin) oder es einfach ignorierte. Sie hat mich jedenfalls nie darauf angesprochen. Und ich sie auch nicht. 

Eine Sache ist mir aus dieser Stunde besonders im Gedächtnis geblieben: In einer Dokumentation, die wir anschauten, wurde die verschiedenen Luftangriffe thematisiert. Besonders wurden dabei auf die Flächenbombardements eingegangen. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen bei der Vorstellung, dass jemand wissentlich ganze Städte, gefüllt mit unschuldigen Zivilisten, egal von welcher Seite, zerbombt und damit Menschen ermordet.

Noch heute habe ich die entsprechende Szene im Kopf, in der man ein kleines graues Flugzeug, eine große Menge Bomben über einer Stadt abwerfen sieht. Genau diese Szene und die beschriebene Geschichtsstunde schaffte die Notwendigkeit und inspirierte mich zu meinem zweiten Text “Perspektivwechsel”. Ich möchte hier noch mal betonen, dass dieser Text rein aus der Motivation, mit meinen Gedanken und Gefühlen umzugehen und diese zu verarbeiten entstand. 

Da meine Geschichtslehrerin ziemlich einstecken musste, möchte ich darauf hinweisen, dass das nichts persönliches war, sondern Kritik an ihrer Arbeit. Besser noch: An einem Teil ihrer Arbeit, denn der Großteil ihres Unterrichts kann man ohne Bedenken als gelungen bezeichnen. 

An alle, die manchmal auch unter Lehrenden (oder anderen Autoritätspersonen) leiden: Es lohnt sich, Dinge anzusprechen, die einen stören. Ich sage das, weil ich es bereue, ihr meine Kritik nicht gesagt zu haben. Ich weiß, dass viele Lernende Angst vor den Konsequenzen haben, vor allem wenn es um ihre Noten geht, aber ich möchte euch ermutigen, es anzusprechen, wenn ihr Kritik habt und diese angemessen rüber bringen könnt. 

Das gilt auch für alle in einem Angestelltenverhältnis oder Ähnliches. Nur wenn ihr etwas sagt, kann sich etwas ändern. Wer weiß, vielleicht nimmt die Person die Kritik dankbar an, weil ihr ihr Fehler nicht bewusst war. Egal wie gut ihr diejenige*denjenigen zu kennen meint, vielleicht überrascht sie*er euch mit ihrer*seiner Reaktion. Es ist reichlich voreingenommen zu behaupten, sie*er wird euch danach noch schlechter behandeln. Deshalb: Versucht doch mal, offen zu sein und gebt eurem Gegenüber eine Chance.

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