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Meine Antworten auf schwierige Fragen

Wie hätte ich damals gehandelt?

Ich wage zu behaupten, dass jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, sich früher oder später dieser Frage stellt. Auch ich konfrontierte mich selbst irgendwann damit, doch nur für einen kurzen Augenblick. Ich merkte, dass ich nicht genug wusste, um ansatzweise antworten zu können. Klar habe ich gute Kenntnis über Konzentrationslager, den Aufbau des NS-Staates, den Verlauf des Krieges,… aber ich wusste kaum etwas über die wirklichen Lebensbedingungen. Aufgewachsen in einer funktionierenden Demokratie, weiß ich nicht, wie sich eine unterdrückerische Staatsmacht anfühlt. Aufgewachsen in einer Zeit des Friedens, weiß ich nicht, wie es ist, im Krieg leben oder aufzuwachsen. 

Natürlich wünscht man sich, dass man damals Widerstand geleistet hätte oder zumindest nicht mitgemacht hätte, doch wie wahrscheinlich ist das? Dass du den Wunsch hast, nicht mitgemacht zu haben, sagt jedoch schon viel Positives über dich aus! 

Die Beantwortung der Frage hat aus meiner Sicht für meine jetzige Lebenswirklichkeit überhaupt keinen Mehrwert. Wen diese Frage beschäftigt, der soll sich damit ruhig befassen, ich will niemanden abhalten. Jene, die sich diese Frage stellen und wirklich zu einer Antwort kommen à la ich hätte nicht mitgemacht, die wollen aus meiner Sicht nur ihr Gewissen beruhigen, was nicht verwerflich ist. Aber uns sicher sein oder gar beweisen, wie wir damals gehandelt hätten, das können wir nicht. Das müssen wir aber auch nicht. Wir können nicht nachvollziehen, wie wir damals aufgewachsen wären, da wir die damaligen Umstände eben nicht erlebt haben. Wir können also nur spekulieren. 

Die damaligen Bedingungen hätten uns geprägt, so wie es die heutigen getan hätten. Unsere Antwort auf die Frage trifft also nur für den Menschen zu, der wir heute sind, der hätte aber damals unter keinen Umständen existiert. 

Ich habe beschlossen, dass ich meine Zeit nicht mit dieser Frage verschwenden möchte. Stattdessen frage ich mich, was ich heute tue und tun würde. Was würde ich machen, wenn ein Flüchtling Asyl bei mir suchen würde? Was tue ich für die verhungernden Kinder auf der Welt? Was unternehme ich gegen die Diskriminierung aufgrund Geschlecht oder Nationalität Behinderung? Was tue ich für die Demokratie in meinem und in anderen Ländern? Wie helfe ich den Menschen, die unterdrückt werden? Was tue ich für die Umwelt? Was tue ich gegen Antisemitismus? Die Liste der Probleme war damals und ist heute immer noch endlos. Viele der Probleme von damals bestehen noch heute. Ich brauche mir nicht vorstellen, was ich damals getan hätte, ich brauche mich nur zu fragen, was ich heute tue. Ich benutze mein Gehirnschmalz lieber, um einen Weg zu finden, wie ich etwas gegen die Ungerechtigkeiten und Probleme von heute tun kann. 

Ich weiß, dass einem nach dieser Aufzählung ordentlich das schlechte Gewissen im Nacken sitzt. Die Wahrheit ist, dass wir nicht alle alles angehen können, aber wir können ja mal beginnen, jeder eine Sache anzugehen. 

Wie haben meine Vorfahren gehandelt?

Natürlich wünscht sich jeder, dass seine Familie damals jemanden gerettet hat oder zum Widerstand gehört hat, doch auch hier: Wie wahrscheinlich ist das? Ich selbst fragte mich oft, was wohl meine Vorfahren damals getan haben. Doch herausfinden werde ich es wahrscheinlich nie, da ich bezweifle, dass mir meine Großeltern das je erzählen werden, wenn sie es denn wissen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass sie sich dieselbe Frage stellen. (Meine Großeltern sind beide nach dem Krieg geboren: 1945 und 1954)

Mich hat jedoch eine Sache schnell von diesen beiden Fragen abgebracht: Was würde eine Antwort mir für das hier und jetzt bringen? Nichts. Selbst wenn einer meiner Urgroßeltern ein Faschist war, ändert das für meine Lebenswirklichkeit nichts. Im Gegensatz zu Geldschulden kann diese Schuld nicht vererbt werden. Ich bin nicht verantwortlich für das, was meine Vorfahren oder sonst ein anderer Mensch jemals getan hat. Selbst wenn ich mit ihm durch meine Nationalität, Sprache, Religion oder Verwandtschaft “verbunden” bin. Nicht umsonst gibt es keine Kollektivschuld.

 Ich möchte euch trotzdem ermutigen, mit euren Verwandten über das Thema zu reden oder selber nachzuforschen. Doch seid euch bewusst, dass es sein kann, dass ihr entweder nichts oder vielleicht auch etwas Unerfreuliches erfahrt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eure Vorfahren Helden oder Opfer waren, ist gering, dass sie Täter, Mitläufer oder nichts waren, ist deutlich höher.

Wie konnte das Geschehen? Wie kann ein Mensch sowas tun? Verstehen wollen…

In meinem ersten Text komme ich zu dem Fazit, dass man nicht versuchen soll zu verstehen. Hinter dieser Aussage stehe ich auch noch, jedoch mit einer kleinen Einschränkung. Das Wort „verstehen“ hat laut Duden viele Bedeutungen. Die für diesen Kontext Relevante ist: “Den Sinn von etwas erfassen; etwas begreifen”. Beschränkt man sich auf diese, dann werde ich das Geschehene nie verstehen. Das Geschehene ist von so unmenschlicher Grausamkeit, dass ich das nie begreifen, erfassen oder verstehen werden kann. Doch ich kann die Bedeutung der Taten verstehen. Zum einen, was sie damals bedeutet haben und zum anderen, was sie für das Heute bedeuten.

Natürlich gibt es auf die genannten Fragen historische und psychologische Antworten, die die Prozesse und Ereignisse erklären, darum geht es hier aber nicht. 

Darf man sich mit den Tätern auseinandersetzen? 

Lange Zeit wollte ich mich nicht mit den Tätern auseinandersetzen, um ihnen keine Bühne in meinem Leben zu geben. Diese war reserviert für jene Helden, die Widerstand leisteten, jene Unterdrückten, die unter dem Nazi-Regime litten, jene Opfer, die grausam ermordet worden und jene Überlebenden, die es schafften, den Terror durchzustehen. Doch wenn man sich intensiv mit dem Thema befassen will, dann gibt es keinen Weg um die Täter herum.

Im April 2019, begann ich mich also, neben der Abiturvorbereitung ausführlich mit den Tätern zu beschäftigen. Ich suchte mir zunächst die wichtigsten NS-Verbrecher und SS-Funktionäre raus und ihre Namen auf Zettel geschrieben an meine Wand zu heften. Der Kern meiner Recherche war “Die Banalität des Bösen” von Hannah Arendt. Ich wollte der Frage nachgehen, warum jene Männer taten, was sie taten. Ich suchte nach ihren Motiven und hoffte diese in ihren Lebensläufen zu finden, in Aussagen oder Reden, die von ihnen dokumentiert wurden oder in Schriftstücken, die sie selber anfertigten.

Über eine kurze Google-Suche schrieb ich mir damals die häufigsten Mordmotive heraus. Das waren vor allem wirtschaftliche, emotionale oder niedrige Beweggründe wie Mordlust.

Hannah Arendt fügte dieser Liste ein weiteres Motiv hinzu: die Motivlosigkeit. Sie war der Auffassung, dass viele grundlos mordetet oder zum Morden beitrugen. Sie hatten keine tiefere Motivation, sie waren zu einfältig, zu banal, um ein Motiv zu haben. Arendt bezog sich in ihren Ausarbeitungen vor allem auf Adolf Eichmann, mit dem sie sich ausgiebig befasste und dessen Prozess, der in Israel abgehalten wurde, sie verfolgte. 

Zur Recherche über die Täter las ich die Biografien, die Guido Knopp in seinen Büchern “Hitlers Helfer” niederschrieb. Ich achtete besonders darauf, wann sie sich dem Nationalsozialismus anschlossen und seit wann oder warum sie Antisemiten waren. Ersteres gibt gute Auskunft über ihre Motivation, weil jene, die sich Hitler vor 33 anschlossen, oft andere hatten als jene, die nach 33 dazu kamen. Für Letztere war Macht manchmal ein größeres Motiv, da die Anhänger, die seit Beginn dabei waren, nicht wussten, wo die Bewegung enden wird und ob sie je wirklich Einfluss haben wird. 

An meiner Wand kategorisierte ich alle Namen nach Motiv. Nach wochenlanger obsessiver Beschäftigung mit Thema beschloss ich, die Sache aufzugeben. Selbst wenn ich bei jemandem ein Motiv fand, was rechtfertigte es oder was für einen Mehrwert brachte es mir? Nichts und keinen. Es trag null zum Verstehen bei. Außerdem bekam ich keine Klarheit in die Frage, ob es wirklich Leute gab, die völlig ohne Motiv mordeten (oder dazu beitrugen) und ob jene Männer etwas Dämonisches oder Böses in sich trugen oder ob sie einfach nur vor Banalität strotzten. Ich beschloss, mein Wandbild abzunehmen und erst mal zu verstauen und mich vielleicht später wieder damit auseinanderzusetzen.

Meine Antwort auf die Frage ist: Ja. Ich finde es wichtig, sich mit den Tätern auseinanderzusetzen, weil man Kenntnis darüber bekommt, wer damals den Staat und das System am laufen gehalten hat. Durch das Lesen der Lebensläufe erfährt man zudem etwas über die Umstände und wie sie an die Macht gekommen sind. Sein Geschichtsverständnis und Faktenwissen profitiert davon alle Male. 

Die Suche nach Logik

Die Suche nach Logik in den Handlungen der Täter damals ist ein sinnloses unterfangen, weil es an vielen Stellen keine Logik gab. Das ist der Grund, warum es uns so schwerfällt zu verstehen. Ohne Logik können wir nicht verstehen. Willkür kann man nicht verstehen, da Willkür ohne Muster und ohne Logik abläuft.

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